WAHRE NARRHEITEN - Besprechung in der SZ
Im Französischen ist der ¸¸Bouffon" ein Narr mit einem Hang zum Mystischen. Die ¸¸Münchenbouffons" der Projekte ¸¸Theateratelier" und ¸¸Kultur auf Rädern" sind Schauspieler auf der Suche nach neuen Theaterformen. Aktualität und Poesie, Humor und Skurrilität wollen sie vermischen. ¸¸Es sind Menschen mit einer großen Lebenserfahrung", erklärt Anton Koelbl, der Leiter der Gruppen. Er meint damit: Menschen mit psychischen Problemen, Arbeitslose, Alte, aber auch professionelle Schauspieler, Musiker und Jugendliche.
Unter dem Titel ¸¸Lasst euch nicht verführen" gestalteten sie einen theatralen Abend, der in den Untergrund führte, in die Kellerräume des Kulturzentrums Einstein. Dort sammelt sich das Publikum zunächst im Flur. Es wird ein Prolog verlesen, ein Zeit-Artikel aus der Rubrik ¸¸Ich habe einen Traum". Darin spinnt der Arbeitsmarktreformer Peter Hartz die Idee einer Tafelrunde 30 kluger Köpfe aus allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen. Aus deren Phantasien und Wünschen soll im Nu ein Rezept zur großflächigen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit entstehen - eine Idee, der die Münchenbouffons mit Hohn begegnen. Sie nehmen den Artikel als Grundlage ihrer theatralen Tafelrunde.
Nach dem Prolog gehen die Zuschauer in einen Gewölbesaal. Es ist klamm dort, und es gibt keine Sitzplätze. Auf der Bühne harren groteske Figuren. Sie alle sind Bouffons, die eine immer gleiche Tätigkeit ausführen. Der Bibelbouffon zitiert aus dem Lukas-Evangelium. Der Mundtrompetenbouffon erzeugt Töne nur mit Mund und Hand als Hilfsmittel. Ein anderer wiederholt immerfort Verse von Hilde Domin: ¸¸Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise, wie einem Vogel, die Hand hinhalten." Dazwischen eskaliert das Bühnengeschehen: Musik und Gesprochenes werden immer lauter, bis zur Unerträglichkeit. Plötzlich werfen alle Spieler Teller auf den Bühnenboden. Und dann folgt Stille. Bis einer wieder seine Rolle aufnimmt. Diese Tafelrunde ist eine kluge, kraftvolle und anrührende Auseinandersetzung mit dem Themen Arbeit und menschliche Würde. ¸¸Wir sind kein therapeutisches Projekt, sondern ein künstlerisches", sagt Koelbl. Der Theaterabend gibt ihm recht.
MARION STIEGLITZ
Quelle: Süddeutsche ZeitungNr.173, Samstag, den 29. Juli 2006 , Seite 54
0 KOMMENTARE
Kommentar veröffentlichen
<< Home